Drei Gespräche zum "neuen Antisemitismus": Eine Resümee
Im Juli veranstaltete das DAI Sachsen eine digitale Gesprächsreihe zum Thema “Der neue Antisemitismus?”. Die Gespräche wurden von Lisa Jacobs von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig (DIG) und von Eric Fraunholz, Geschäftsführer des DAIS, moderiert und im Deutschen Literaturinstitut Leipzig live aufgezeichnet und übertragen.
Antisemitismus in der Coronakrise
Am 13. Juli 2020 sprachen wir mit Journalisten und Autor Alex Feuerherdt zu einem Zoom-Gespräch über Antisemitismus in der Coronakrise. Die Verbindung zwischen Antisemitismus und Krankheiten hat eine lange Tradition, so Feuerherdt. Jüdinnen und Juden wurden zum Beispiel während der Ausbreitung der Pest im Mittelalter als sogenannte “Brunnenvergifter” diffamiert. Zudem äußert sich Antisemitismus besonders in chaotischen und unsicheren Zeiten, da er sehr krisenfest ist. Es war also zu erwarten, dass die Coronakrise einen erneuten Anstieg antisemitischer Symbolik im öffentlichen Leben hervorbringt.
Dieser äußert sich oftmals in der Form von Chiffren wie “Rothschild” als Synonym für Jüdinnen und Juden. Vielfach ist es dabei nicht einmal ausschlaggebend, ob die gemeinte Person wirklich jüdisch ist, sie muss lediglich als “jüdisch wahrgenommen” werden, wie das Beispiel “Bill Gates” zeigt.
Antisemitismus auf Corona-Demonstrationen wird oft sichtbar durch Holocaust-Relativierungen und Verschwörungstheorien zum Ursprung und “Sinn” der Epidemie. Auf den Demonstrationen wurden zum Beispiel Davidsterne mit der Aufschrift “ungeimpft” oder Parolen wie “Impfen macht frei” sichtbar. Laut Feuerherdt gibt es keine bekannte Verschwörungstheorie, die im Kern nicht antisemitisch ist.
Mit Blick auf die Demonstrationen stellt sich auch die Frage, wer an ihnen teilnimmt. Die Demonstrationen, so Feuerherdt, zieht nicht nur Verschwörungsideologen und Nazis an, auch vorher unpolitische Menschen der Mittelklasse sind auf den Demonstrationen vertreten. Neben ihnen protestieren ImpfgegnerInnen, EsoterikerInnen, GlobalisierungskritikerInnen, “Hippies”, “Putin-Fans” und AlternativmedizinerInnen. Besonders problematisch wird es wenn PolitikerInnen der etablierten Parteien nicht nur teilnehmen sondern auch als RednerInnen auf solchen Veranstaltungen auftreten.
Mehr Informationen zu Alex Feuerherdts Arbeit finden Sie unter
oder www.mena-watch.com
Antisemitismus in Deutschland und den USA
Mit Günther Jikeli sprachen wir am 14. Juli über Antisemitismus in Deutschland und den USA.
Der Historiker und Antisemitismusforscher an der Indiana University Bloomington erörterte die verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus und deren regionale und historische Unterschiede. Beispielsweise wird Antisemitismus in Deutschland ganz anders besprochen und wahrgenommen als in den USA. Dennoch funktioniert Antisemitismus im Kern immer gleich. Wie schwierig Antisemitismus zu bekämpfen ist, zeigt nicht nur seine lange Geschichte, sondern auch dass er ein globales Phänomen ist.
Transatlantische Unterschiede in der Debatte um Antisemitismus tun sich vor allem um den Begriff “race” auf, für den es im Deutschen keine wirkliche Entsprechung gibt und nicht mit dem deutschen Begriff der “Rasse” gleichzusetzen ist. Nur im amerikanischen Kontext ergibt es Sinn, dass Jüdinnen und Juden historisch als non-white wahrgenommen wurden und nach und nach die “color-line” überquerten. Seither werden im amerikanischen Kontext Jüdinnen und Juden eher als weiß wahrgenommen. Diese Debatte lässt sich historisch nicht zu 100% in den deutschen Kontext übertragen und kann vermehrt, vor allem im Bezug auf die Antisemitismus-Debatte, zu Missverständnissen führen. Diese Transferarbeit zu leist, ist Teil der Förderung transatlantischen Dialogs und des Kampfes gegen Antisemitismus weltweit.
Ist BDS antisemitisch?
Welche Rolle Antisemitismus in der Bildungsarbeit spielt, erfuhren wir am 20. Juli in unserem Gespräch mit Lena Reichstetter von der Bildungsstätte Anne Frank. Die Bildungsstätte ist ein landesweites Zentrum, das innovative Konzepte und Methoden entwickelt, um Jugendliche und Erwachsene für die aktive Teilhabe an einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken und zu empowern. Dazu gehört auch die Bekämpfung von Antisemitismus in der Gesellschaft.
Mit Lena Reichstetter sprachen wir über das sogenannte BDS (Boycott, Divest, Sanctions) -Movement, welches vor allem in der Debatte um Achille Mbembe in Deutschland aber auch in den USA heftig diskutiert wurde. Das Thema spielt auch eine wichtige Rolle in der Arbeit der Bildungsstätte Anne Frank. Die Bildungsstätte hat zum BDS eine Informationsbroschüre herausgegeben, die anhand von 4 Gründen argumentiert, warum das BDS-Movement antisemitisch ist. Die Bildungsstätte argumentiert hier vor allem entlang des sogannten 3-D-Tests für Antisemitismus.
Der Test ist auch hilfreich, so Lena Reichstetter, um in der Bildungsarbeit das abstrage Problem des Antisemitismus Menschen besser greifbar zu machen.
Ein letztes Gespräch in unserer Reihe zum “neuen Antisemitismus” veranstalten wir im September 2020. Mehr Informationen dazu finden Sie dann auf unserer Homepage.